Suhrkamp Verlag 2015, 332 Seiten, Deutsche Übersetzung von Mirjam Pressler
Warum wird Judas Ischariot seit 2000 Jahren als Verräter Jesu bezeicnet? Wie ist es gekommen, dass Judas aus christlicher Sicht zur Symbolfigur des bösen Menschen wurde? Der israelische Schriftsteller Amos Oz( 1919-2018) beschäftigt sich in seinem letzten Roman mit diesen brisanten Fragen. Er versetzt sich in die Lebensumstände des Juden Judas aus der Stadt Kariot hinein, und so gelingt ihm ein literarisches Porträt, das völlig neue Perspektiven eröffnet. Eine bewegende Studie gegen Vorurteile und gewolltes Abstempeln. Kunstvoll verbindet Amos Oz den Handlungsstrang um Judas und Jesus zudem mit politischen Geschehnissen im Jerusalem der Jahre 1947 bis 1960. Gab es in der Frühzeit des Staates Israel, so fragt Amos Oz, vielleicht auch Menschen, die eine eigene, abweichende Meinung zum neuen Staat hatten und darum von der Mehrheit als Verräter bezeichnet wurden? Die jüdischen Bewohner eines alten Hauses im Jerusalem der 50er Jahre stellen sich intensiv diesen Fragen. Und so ermöglicht der Roman mit seinen eindringlich geschilderten Personen auch einen Streifzug durch die Stadt Jerusalem in einer entscheidenden Phase ihrer Geschichte.
Besprechung von Renate Schwarzbauer