Eine Besprechung von Renate Schwarzbauer: Adriana Altaras, Die jüdische Souffleuse. Roman, 203 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2018

Am Anfang nervt sie einfach nur, die Souffleuse Susanne. Sie souffliert gar nicht ernsthaft bei den Proben zu Mozarts „Entführung aus dem Serail“ an der Oper einer mittelgroßen deutschen Stadt. Stattdessen will sie nur über sich selbst reden, oft mit umständlichen Abschweifungen. Und an etlichen Tagen, an denen sie besonders dringend gebraucht würde, ist sie gar nicht da – krankgemeldet.

Adriana Altaras, die Ich-Erzählerin dieses traurig-komischen Romans nach einer wahren Geschichte, ist auch im wirklichen Leben Opernregisseurin. Und Schauspielerin. Und Bestseller-Autorin. In den Büchern „Titos Brille“ und „Doitscha. Eine jüdische Mutter packt aus“ lernen wir Geschichte und Gegenwart ihrer jüdischen Familie kennen, die Wurzeln in Spanien, Kroatien und Italien hat und seit den 1960er Jahren in Deutschland lebt, jetzt in Berlin. (Auch diese beiden Bücher sind hier in der Jüdischen Bibliothek ausleihbar und unbedingt lesenswert!) Der Reiz ihres jüngsten Buches liegt in der wunderbaren Darstellung der skurrilen und euphorischen Momente bei den Opernproben, die mehr und mehr mit dem Schicksal der Souffleuse verknüpft werden.

Schon bald erfahren wir, dass die Souffleuse gar nicht Susanne heißt. Das ist nur ihr Pseudonym, eine ihrer Schutzmaßnahmen gegen die Zumutungen der Außenwelt. Ihr wahrer Name, ihr jüdischer Name, ist Sissele. Darin steckt das Wort süß, und der Name wird auf der ersten, langen Silbe betont (sprich: „Sießele“). Sie ist jetzt Mitte 60 und hat von Kindheit an schreckliche Erlebnisse zu verarbeiten gehabt. Ein Teil ihrer Seele ist wie gelähmt durch all die Schwermut, die auf ihr lastet. Aber aufgegeben hat sie nicht. Die Fügung, dass ausgerechnet Adriana Altaras, deren Bücher und Fernsehauftritte sie so schätzt, hier an dieser Bühne inszeniert, gibt Sissele wieder Hoffnung.

Adriana Altaras soll ihr nämlich helfen, die einzigen (hoffentlich) noch lebenden Verwandten zu finden, die Sissele in einem Lager für Displaced Persons in den 50er Jahren in Bayern kennengelernt hatte, zu denen sie den Kontakt jedoch schon lange, lange verloren hat. Adriana Altaras fühlt sich von dieser Bitte überfordert; ihre eigene Familiengeschichte und dazu die Tücken der Operninszenierung bieten schon genug Futter für einen Nervenkollaps. Aber dann! Es entwickeln sich verblüffende, zu Tränen rührende, gute Dinge – die hier in dieser Besprechung natürlich auf keinen Fall verraten werden. Man muss das Buch einfach lesen und staunen. Und hoffen, dass eine kleine Andeutung im Vorwort, Adriana Altaras wolle nach diesem Buch kein weiteres mehr schreiben, von ihr vielleicht doch noch einmal überdacht wird.

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